Deutsch

Der besondere Wert der Sprache, speziell der eigenen Muttersprache für die Erziehung und Bildung des Menschen steht außer Zweifel. Als Ausdrucksform und Werkzeug des Denkens ermöglicht sie uns die begriffliche Ordnung der Welt, als physische Lautäußerung ist sie zugleich das Mittel, unsere Gedanken anderen Menschen mitzuteilen. Konserviert mit Hilfe der Schrift versetzt sie uns in die Lage, Wissen zu sammeln und für kommende Generationen festzuhalten und  ist so die Voraussetzung für jede langfristige wissenschaftliche und technische Entwicklung. Künstlerisch gestaltet begegnet  sie uns als Literatur und Poesie und berührt uns so stark wie keine andere Kunstform (mit Ausnahme vielleicht der Musik). Ihr Klang, ihr Wortschatz, ihre Grammatik formen unser Fühlen und Denken, die Inhalte ihrer Erzählungen, Lieder und Gedichte prägen unser Weltbild und unsere kulturelle Identität.  

Der Deutschunterricht der Waldorfschule versucht der Vielzahl der genannten Aspekte gerecht zu werden. Seine Methoden und Inhalte orientieren sich dabei am altersbedingten Entwicklungsstand der Schüler und weniger an fachspezifischen Kriterien.

In den ersten beiden Klassen steht das Lesen- und Schreibenlernen im Vordergrund. Das chorische Rezitieren von kleinen Gedichten schult das klare, akzentuierte Sprechen. Der Lehrer erzählt Märchen, Fabeln und Legenden, die Schüler üben sich im Zuhören und im mündlichen Nacherzählen des Gehörten.

Ab der dritten Klasse wird das Lesen und Schreiben im Wesentlichen beherrscht, muss aber in den kommenden Jahren weiter geübt und gefestigt werden. Nun werden auch Grundlagen der Grammatik (Wortarten, Satzformen) vermittelt. Erste Aufsätze werden geschrieben. Das chorische Sprechen wird weiter geübt, als Erzählstoff sind Geschichten aus dem Alten Testament geeignet.

Von der vierten Klasse an werden zunehmend kompliziertere grammatische Zusammenhänge (etwa: Zeitformen des Verbs) besprochen. Verschiedene Aufsatzformen werden erlernt und geübt. Daneben gewinnt nun immer mehr das Lesen von zunächst kurzen Erzählungen an Bedeutung. Das Erzählen und Zuhören wird weiter gepflegt, nun sind die Themen vorwiegend nordische Götter- und Heldensagen. Dazu werden Sprüche aus der „Edda“ rezitiert .

In der fünften Klasse wird oft die erste umfangreichere Lektüre gelesen. In der Grammatik geht es etwa um die verschiedenen Fälle, um Aktiv und Passiv, um die wichtigsten Satzglieder. Erzählt werden jetzt griechische Sagenstoffe, dazu rezitieren die Schüler klassische deutsche Gedichte in antiken Metren und Strophenformen.

Weitere Besonderheiten der Grammatik werden in der sechsten Klasse thematisiert, etwa der Unterschied zwischen Indikativ und Konjunktiv oder im Rahmen der Satzlehre der Unterschied zwischen Haupt- und Nebensätzen. Weiter Aufsatzformen kommen dazu, Rechtschreibübungen berücksichtigen jetzt verstärkt die Zeichensetzung. Als Erzählstoff eigenen sich jetzt besonders Szenen aus der neueren Geschichte. Chorisch gesprochen werden vor allem Balladen.

In der siebten Klasse werden gerne Biographien gelesen, in denen die Schüler ihre eigene Orientierungssuche gespiegelt sehen. Auszüge aus Biographien bilden auch den bevorzugten Erzählstoff. Grammatische Feinheiten werden im Hinblick auf ihre Wirkung betrachtet, in der Aufsatzlehre stehen Textverwandlungen (etwa vom Bericht zur Erzählung), aber auch exakte Versuchs- oder Konstruktionsbeschreibungen im Vordergrund.

Der Deutschunterricht der achten Klasse ist weitgehend bestimmt durch das Klassenspiel. Dessen Text muss gelesen und verstanden werden, Artikulationsübungen bereiten auf das Sprechen auf der Bühne vor. Die Vorbereitungs- und Probenzeit bis zur Aufführung ist deshalb zugleich auch Deutschunterricht. In der verbleibenden Zeit des Schuljahres könnte noch einmal ein Gesamtüberblick über die behandelte Grammatik gegeben werden. Besonders geeignet ist auch ein Vergleich der unterschiedlichen Biographien Goethes und Schillers im Rahmen einer Deutschepoche. Auszüge aus deren Werken bereiten die Schüler zugleich auf den Literaturunterricht der Oberstufe vor.

Der Deutschunterricht in der Oberstufe findet vorwiegend in drei- bis vierwöchigen Deutschepochen statt, in denen jeweils ein großes Thema behandelt wird. Daneben haben alle Oberstufenklassen pro Woche ein bis drei Fachstunden, in denen Rechtschreibung und Grammatik wiederholt oder besondere Aufsatzformen geübt werden können.

In der neunten Klasse ist die vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Umbruchsituation das große Thema. Falls in der achten Klasse noch nicht geschehen, kann jetzt die Goethe-Schiller-Epoche durchgeführt werden. Überhaupt kann die vertiefte Beschäftigung mit fremden Schicksalen (etwa durch das Lesen moderner Jugendromane) auch hier die Suche nach dem eigenen Platz im Leben unterstützen. Auch die von Rudolf Steiner vorgeschlagene Humorepoche ist hier angemessen, in der die Schüler literarische Beispiele dafür kennen lernen,  heitere, oft selbstironische Distanz zur eigenen Lebenssituation einzunehmen. Besonders geeignet ist ferner das kreative Schreiben eigener Geschichten, bei dem die Schüler aufgefordert sind, aus fremder Perspektive auf die Welt blicken.

Die Themen der zehnten Klasse berücksichtigen die fortschreitende Entwicklung der Schüler. Die zunehmend als problematisch erlebte Familienbindung, das Schwanken zwischen triebhafter Emotionalität und teilweise widersprüchlichen moralischen Anforderungen sind zentrale Themen des mittelalterlichen Nibelungenlieds, das nun behandelt wird. Das zugleich vom Jugendlichen erlebte Streben nach exakter Erfassung der Wirklichkeit kann etwa durch eine Zeitungsepoche aufgegriffen werden, in der die verschiedenen journalistischen Stilformen und der Unterschied zwischen informierenden und kommentierenden Texten vermittelt werden. Schließlich hat in der zehnten Klasse auch die Poetikepoche ihren Platz, in der die verschiedenen literarischen Formen und Gattungen besprochen werden, wobei besonders die Formenlehre der Lyrik und der Dramatik im Vordergrund steht.

Die Suche nach der eigenen Identität, der vielleicht als verwirrend erlebte Lauf der eigenen Biographie, der trotz aller Umwege und Verirrungen  am Ende als sinnvoll erlebt werden kann, ist in der elften Klasse Thema von Wolfram von Eschenbachs „Parzival“, einer weiteren mittelalterlichen Verserzählung. Thematisch mit dem „Parzival“ verwandte Romane oder Theaterstücke können ergänzend behandelt werden.In der zweiten Schuljahreshälfte müssen die Schüler dann verstärkt auf die speziellen Anforderungen der zentralen Prüfungen für die mittleren Bildungsabschlüsse vorbereitet werden. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass sich die Prüfungsvorbereitung gut mit den Themen des Waldorflehrplans verbinden lässt.

Mit der zwölften Klasse endet der eigentliche Waldorflehrplan und wird nun teilweise überlagert von den methodischen und thematischen Anforderungen des Abiturs, für das die Vorbereitungen beginnen. Zunächst aber steht das zweite große Theaterstück auf dem Programm, das wie in der achten Klasse zugleich als Teil des Deutschunterrichts zu verstehen ist. Nach dessen Aufführung empfiehlt der Lehrplan der Waldorfschulen für die erste Deutschepoche Goethes Schauspiel „Faust“: Am Beispiel des Doktor Faust, der, angeekelt vom akademischen Bücherwissen, selbst herausfinden will, was die Welt im Innersten zusammenhält, und dabei auch vor dem Pakt mit dem Teufel nicht zurückschreckt, soll der achtzehnjährige Schüler seine eigene Situation reflektieren. Die Schulzeit neigt sich dem Ende zu, nun gilt es, in die  Welt hinauszugehen und sie, so weit es geht, nach eigenen Vorstellungen zu formen. Eine zweite Deutschepoche könnte etwa einen Gesamtüberblick über die deutsche Literaturgeschichte zum Thema haben und so den Deutschunterricht der vergangenen Schuljahre abrunden. Soweit der Waldorflehrplan. Da aber in der zwölften Klasse zugleich schon ein Teil der vorgegebenen Abiturthemen bearbeitet werden muss, muss der Deutschlehrer jeweils entscheiden, welche der im Waldorflehrplan vorgeschlagenen Themen er tatsächlich bearbeiten kann und will.

Die verbleibenden Abiturthemen werden dann in der dreizehnten Klasse bearbeitet. Sie ist im Waldorflehrplan nicht berücksichtigt und dient ausschließlich der Vorbereitung auf das Abitur.